Ein Aufruf zum gezielten Regelbrechen: Was erlaubst Du Dir?

 

„Was erlauben Sie sich?“ – Eine Frage, die man meist mit einem gewissen Unterton hört. Nicht sehr freundlich. Eher empört bis ärgerlich. Wenn man etwas tut, was man nicht macht. Etwas ausspricht, was sich nicht gehört. Wenn man sich etwas erlaubt, was andere sich nicht erlauben. – Wo kämen wir denn hin, wenn das jede*r machen würde?

 

Es gibt doch diese kleine Geschichte, wo alle sagen, dass das nicht geht. Und dann kam einer, der das nicht wusste und es einfach gemacht hat.

 

So ähnlich geht die Wendung in diesem Blogartikel. Denn eigentlich ist es eine ganz interessante Frage, wo man hinkäme, wenn man sich was erlaubt. Häufig ist man es ja selbst, der oder die sich die Frage „Was erlaubst Du Dir?“ vorwirft oder zumindest die Regeln aufstellt, nach der sich diese Frage richtet. Also festlegt, was sich gehört und was nicht. Was erlaubt ist und was nicht. Vielleicht auch wie man sein darf und wie auf keinen Fall. Ob es allerdings eine bewusste Entscheidung und wirklich die eigene Stimme ist, die da spricht?  Oft genug sind es übernommene Normen und Werte von Eltern oder anderen wichtigen Bezugspersonen, die man mal überprüfen könnte.

 

Elterliche Stimmen und Antreiber

In der Transaktionsanalyse gibt es das Modell der Ich-Zustände, in dem sich die Idee findet, dass Menschen auch im Erwachsenenalter noch Anteile in sich tragen, die aus der Kindheit stammen. Diese Anteile beinhalten elterliche Botschaften ebenso wie kindliche Erlebnisse. Neben den erwachsenen Anteilen beeinflussen sie auch später noch das Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen. Zum Beispiel durch Glaubenssätze oder sogenannte Antreiber.

 

Typische Glaubenssätze sind solche wie „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“, „Wenn´s Spaß macht, ist es keine Arbeit“, „Hochmut kommt vor dem Fall“ oder „Ohne Fleiß kein Preis“. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen und auch die Themen, auf die sie sich beziehen, können alle möglichen sein. Glaubenssätze beziehen sich auf einen selbst, auf andere oder auf die Welt an sich. In der Regel sind sie gut gemeint und sollten helfen, das Leben zu meistern. Sie führen aber auch häufig zu Begrenzung, Überforderung und Druck.

 

Das haben sie mit den Antreibern gemeinsam. Antreiber sind spezielle Glaubenssätze, die man in der Kindheit lernt – sie sind die Regieanweisungen in der Familie, die mir sagen, was ich tun muss, um geliebt und anerkannt – oder wenigstens beachtet – zu werden. Sie werden nicht immer explizit benannt, oft erlebt man sie einfach, ohne dass sie bewusst weitergegeben werden. Sie sind in der Kindheit so etwas wie die Lebensversicherung, denn sie sichern die Zuwendung der Eltern in einer Zeit, in der man sich noch nicht selbst versorgen kann. Die Transaktionsanalyse geht von fünf Antreibern aus (nach manchen Autoren auch von sechs).

 

Die fünf (sechs) Antreiber der Transaktionsanalyse

  1. Sei perfekt.
  2. Sei stark.
  3. Mach es recht.
  4. Sei schnell.
  5. Streng dich an.
  6. (Sei vorsichtig.)

Der jeweilige Glaubenssatz dazu heißt: „Ich werde geliebt, wenn …“ – ich perfekt bin oder eben stark oder es recht mache und so weiter.

 

Das Fiese ist, dass man diese Glaubenssätze und Antreiber über die Zeit so verinnerlicht hat, dass man sie behält, auch wenn man irgendwann erwachsen ist und für sich selbst sorgen kann. Je wichtiger sie in der Familie waren und je härter das Nicht-Befolgen sanktioniert wurde, desto fester eingeübt sind sie. – Und umso schwerer ist es, sich davon zu lösen, selbst wenn man sie erkannt hat und  längst weiß, dass sie einem nicht mehr dienen.

 

Erlaubnisse und Experimente

An dieser Stelle kommt die Frage „Was erlaubst Du Dir?“ ins Spiel. Denn was gegen diese Antreiber hilft, sind Erlaubnisse. Zum Beispiel:

 

Ich darf Dinge ausprobieren und Fehler machen.

Ich darf um Hilfe bitten und mir helfen lassen.

Ich darf meine eigenen Bedürfnisse an die erste Stelle stellen.

Ich darf mir Zeit nehmen.

Ich darf es mir leicht machen.

Ich darf etwas riskieren.

 

Manchmal reicht es für eine Veränderung, die Erlaubnis zugesagt zu bekommen oder sie sich selbst zu geben. Allerdings sind die Antreiber oft so gut verinnerlicht, dass es gute Beweise und sowas wie Training braucht. – Schließlich hat man fest an sie geglaubt und sie ein Leben lang eingeübt. Und nicht auf sie zu hören, löst erstmal Widerstand aus, manchmal auch richtig Angst, sie waren ja immer Schutz und Versicherung.

 

Deshalb kann es gut sein, die Frage als Experiment mit in den Alltag zu nehmen. Sich bei Kleinigkeiten zu erlauben, es anders zu machen: Eine E-Mail rausschicken, ohne sie mehrfach Korrektur zu lesen, vielleicht sogar mit einem kleinen Fehler drin – und schauen, ob die Welt untergeht. In einer bestimmten Sache um Hilfe bitten und sich überraschen lassen, wie gerne andere helfen. Einen Kompromiss aushandeln, anstatt sofort zuzustimmen, und erleben, dass die Stimmung vielleicht gar nicht kippt. Sich Zeit geben, trödeln, bis hin auf einer Bank zu sitzen und gar nichts zu tun. Den leichten Weg gehen und etwas Anstrengendes auslassen. Oder ein überschaubares Risiko eingehen. Und schauen, was passiert.

Etwas, das sich wie eine kleine Herausforderung anfühlt, könnte ein guter Anfang sein. Also: Was erlaubst Du Dir?